Das hier ist für dich

Textauszug aus dem Hörspiel „Das hier ist für Dich“ von Maja Das Gupta

Papa, das hier ist für dich. Ich bin hier hin und her gelaufen laufen zwischen den Gräbern und weiß noch nicht einmal, ob du auf diesem Friedhof liegst. Ich habe es für mich beschlossen, dass du hier liegst, weil ich den Friedhof mag. Warum du ein anonymes Grab wolltest, weiß ich nicht, und vermutlich geht es mich auch nichts an. Aber ich will dir erklären, warum ich nicht da war, als du im Sterben lagst. Es lag nicht daran, dass ich nicht wollte. Ich konnte nicht.

Papa, das hier ist für dich. Hör mir zu – egal, wo du jetzt bist. Ich bin für dich zwischen den Gräbern auf und ab gelaufen und weiß nicht, wo du liegst. Ich weiß nicht, warum du nicht wolltest, dass ich dabei bin, wenn du bestattet wirst.

Und jetzt bin ich gelaufen und gelaufen und will dir erklären, warum alles Laufen nichts half, in dieser Nacht, in der ich zu spät kam. Es fuhren keine Busse, keine Trams. Taxen waren keine zu haben. Es war die Nacht, in der die Münchner Polizei uns mitteilte, wir sollten unsere Wohnungen nicht verlassen.

Ich laufe auf und ab auf dem Westfriedhof, der der nächste Friedhof zum OEZ ist. An dem Tag, an dem du starbst, Papa, starben dort zehn Menschen.

Ich wollte zu dir kommen, aber die Stadt stand still. Ich bitte dich, mich zu entschuldigen, mir die Schuld zu nehmen, dass ich nicht kam.

Ich stand nicht still, ich lief und lief, aber die Stadt war wie gelähmt und nirgends war ein Weiterkommen.

Terrorwarnung. Ich kenne dich, du wirst mich auslachen, wirst glauben, es sei eine Ausrede. Die Polizei ging von drei bewaffneten Männern aus und weil es Falschmeldungen von Schüssen gab, dachte man an Paris.